Die Estense-Apokalypse
zählt zu den frühesten Blockbüchern und entstand um 1460 in den
Niederlanden oder in der deutschen Rheinregion. Blockbücher, auch
Xylographica genannt, waren eine preiswerte Alternative zum
Gutenberg-Druck und wurden mit Hilfe von Holzschnitten hergestellt, in
die sowohl der Text als auch die Illustrationen geschnitzt wurden. Sie
zählen zu den seltensten Büchern, da sie nur für einen kurzen Zeitraum
zwischen den 1450er und 1470er Jahren hergestellt wurden. Wie bei den
meisten Blockbücher handelt es sich um einen eher kurzen Kodex, der
weniger als fünfzig Blätter umfasst und für ein populäres Laienpublikum
geschaffen wurde. Die Estense Apokalypse ist ein bildbetontes Werk mit
96 handkolorierten Holzschnitten. In jede Szene sind kritische
Textabschnitte aus dem Buch der Offenbarung, oft als Banderolen,
eingefügt.
Apocalypsis Johannis
Die Offenbarung des Johannes, auch bekannt als Apokalypse, ist das letzte Buch des Neuen Testaments. Der Bibeltext ist eine zusammenhängende allegorische Komposition voller bedeutender Symbole,
die die christliche Gemeinde seit Jahrhunderten prägt und fasziniert.
Die vorliegende Ausgabe der Apokalypse befindet sich heute in der
Biblioteca Estense Universitaria in Italien. Das kostbare Werk enthält 48 ganzseitige Holzschnitte, welche allesamt von Hand koloriert wurden. Es handelt sich hierbei um eine der weltweit schönsten und wertvollsten Ausgaben der populären Bibelstelle.
Symbolhafte Bildsprache
Die Johannesoffenbarung wurde ursprünglich in Form eines Briefes
verfasst, der aus der Sicht des Apostels Johannes geschrieben wurde und
sich an sieben christliche Gemeinden in Kleinasien richtete. Seit dem
Mittelalter wird die Schrift in 22 Kapitel unterteilt. Die Bibelstelle
erzählt von den schrecklichen Visionen vom Ende der Welt und vom Tag des Jüngsten Gerichts,
die dem Apostel Johannes im Traum erschienen. Der Text wurde in einer
sehr bildhaften Sprache verfasst und bedient sich verschiedener symbolhafter Farbgebung, Tierdarstellungen und Zahlenkombinationen.
Der Code 666, der den Namen der Bestie verschlüsselt, ist noch heute
ein allgemein bekanntes, satanisches Motiv. Die Apokalypse von Estense
wurde im Stil einer „Biblia Pauperum“ verfasst. Sie besteht aus 96 Bildern, die je eine ganze Buchseite füllen.
Die Darstellungen bestehen teils aus einer großen Szene, teils sind sie
in zwei Szenen unterteilt. Der lateinische Buchtext wurde auf verschiedenste Art und Weise in die Miniaturen eingebettet, sodass beim Leser der Eindruck entsteht, man habe hier einen modernen Comic vor sich.
Ein Vorbote der Reformation?
Das besondere an der Estense-Apokalypse sind ganz eindeutig ihre wunderschönen Illustrationen. In hervorragenden Holzschnitten
wurden die Konturlinien der Darstellungen angefertigt. Jede einzelne
Szene wurde in einer lebendigen, prachtvollen Vielfalt von Farben von
Hand koloriert. Die packenden Darstellungen wenden sich in ihrer
Gestaltung gegen die sonst übliche Darstellungsweise von Heiligen und
kirchlichen Würdenträgern. Keine Gnade, kein Respekt wird den Geistlichen geschenkt,
sie werden am letzten Tage der Erde ebenso wie der Rest der Menschheit
für ihre Sünden und Schandtaten bestraft. Diese besondere Eigenschaft
der Illustrationen lässt sich als Vorbote der Reformation deuten, die
kurz nach der Entstehung des Werkes ganz Europa erschütterte und das Wesen der Kirche völlig revolutionierte.