Landgraf
 Hermann I. von Thüringen und Hessen (gest. 1217) war ein Machtmensch, 
der für seine Rücksichtslosigkeit in der Politik berüchtigt war, 
zugleich aber aus Liebe zur Kunst die Wissenschaftler und Künstler an 
seinem Hof großherzig förderte. Sein Auftrag ist ein Meisterstück der 
Frühgotik, verziert mit Blattgold und federgezeichneten, unendlich 
ineinander verschlungenen Ranken; fast jeder Anfangsbuchstabe wird einer
 goldenen Majuskel für würdig befunden und manche Initialen der Psalmen 
erreichen gar die Größe von einer halben Seite. Die 8 ganzseitigen 
Miniaturen berühren den Leser durch die zugewandten Gesichter, so etwa 
derjenigen Personen, die Christus aus dem Höllenschlund befreit. Dabei 
legen sie nicht nur wegen ihres polierten Goldgrunds von der 
Hochschätzung byzantinischer Gestaltungsprinzipien in der Frühgotik ein 
beredtes Zeugnis ab. Der Text der Psalmen wird von einem illuminierten 
Kalender, Gesängen, einer Litanei der Heiligen und einem Totenamt 
begleitet.
Deutsche Frühgotik für einen bedeutenden Landesfürsten
Seit Beginn des 19.  Jh.s zählt die Stuttgarter Landesbibliothek (die 
vormalige Handbibliothek des württembergischen Königs Friedrich) eines 
der schönsten Werke der frühgotischen Buchmalerei zu ihrem Besitz – den 
Landgrafenpsalter. Der Name dieser Handschrift steht in engster 
Beziehung zu ihrem Auftraggeber. Landgraf Hermann I. von Thüringen und 
Hessen wird nicht nur in der Litanei und den Fürbitten genannt. Sein 
Bildnis und jenes seiner zweiten Gemahlin Sophie, aus dem Geschlecht der
 Wittelsbacher, findet sich auch an prominenter Stelle innerhalb der 
Fürstengalerie der Litanei.
Hermann von Thüringen (reg. 1190–1217) galt als rücksichtsloser 
Politiker, der als erster deutscher Fürst eine gewisse Autonomie der 
landesfürstlichen Gewalt gegenüber dem Reichsoberhaupt durchzusetzen 
versuchte. Zugleich aber war er ein großherziger Förderer der Künste und
 Wissenschaften, ein Mann von feiner Bildung, der in Eisenach einen der 
kunstfreudigsten Höfe der damaligen Zeit unterhielt. Von der Bedeutung 
dieses Fürsten zeugt auch die Ausstattung seines Psalters, der sowohl in
 künstlerischer wie auch in technischer Hinsicht als Meisterwerk 
bezeichnet werden kann.
Anlage und Gliederung des Textes entsprechen dem für 
Psalterhandschriften üblichen Schema. Um das Hauptstück – ein Psalterium
 Gallicanum – gruppieren sich Kalendarium, Cantica, Allerheiligenlitanei
 und Totenofficium. Um die Handhabung des Gebetbuches (bei dem der Text 
nicht fortlaufend durchgelesen wird, sondern einzelne Passagen nach 
Bedarf rasch aufgeschlagen werden) zu erleichtern, bedurfte es einer 
deutlichen Gliederung des Textes. An diesen Zäsurstellen bot sich dem 
Illuminator reichlich Gelegenheit zur Anbringung seines künstlerischen 
Schmucks.
Praktisch alle Anfangsbuchstaben sind als goldene Majuskeln abgesetzt, 
die durch blaue, blattwerkartige Federzeichnungen noch bereichert 
werden. Einige Psalmen sind darüber hinaus noch durch kunstvoll 
verschlungene Initialen hervorgehoben, die bis halbseitige Größe 
erreichen können. Sie alle stehen auf Goldgrund, der mit Rot (mit 
Zinnober gemischtem Minium) unterlegt ist. Ihre Buchstabenkörper bauen 
sich aus miteinander verflochtenen, verknoteten und zu Spiralen 
eingedrehten Blättern auf, deren Enden in Tier- und Menschenfiguren 
auslaufen. Während die Bänder formal noch der Fläche verhaftet bleiben, 
enthalten das sich aufwölbende Blattwerk und die anthropo- und 
zoomorphen Wesen bereits deutliche plastische Werte.
Neben diesem überaus variantenreichen Initialschmuck – keine Initiale 
gleicht der anderen, jede Form scheint neu erfunden – sind es vor allem 
die insgesamt acht ganzseitigen Minaturen, die dem Landgrafenpsalter den
 Eindruck von Pracht und Kostbarkeit verleihen. Die jeweils auf den 
Versoseiten placierten, größere Textabschnitte markierenden, 
goldgrundigen Bilder stellen uns Szenen aus dem Leben Christi in 
chronologischer Abfolge vor Augen. Von der Taufe im Jordan über 
Kreuzigung, Höllen- und Himmelfahrt, Pfingsten, das Jüngste Gericht und 
eine Darstellung der Dreieinigkeit spannt sich der Bogen der Bildthemen 
bis hin zu einer Paradiesesszene. Der allgemeinen Zeitströmung mit ihrer
 starken Öffnung gegenüber der östlichen Kunst entsprechend, sind es vor
 allem byzantinische Gestaltungsprinzipien, die dem Miniator in 
stilistischer und ikonographischer Hinsicht als Vorbilder dienten. Wie 
weit diese vorgeprägten Typen durch die Verknüpfung mit eigenen 
Traditionen jedoch auch umgedeutet werden konnten, zeigt exemplarisch 
die Kreuzigungsminiatur. Hier wird der im Abendland beheimatete Topos 
der Kreuzigung als symbolisches Andachtsbild (erkennbar an der 
Anwesenheit von Ecclesia und Synagoge) mit einem byzantinischen 
Christustypus verbunden.
Östliche Stilmerkmale finden sich auch an den Figuren des prächtig 
ausgestatteten Kalendariums, das dem Psalterium vorangestellt ist. Die 
durch eine architektonische Gliederung in zwei vertikale Abschnitte 
geteilten Monatsseiten erweitern den eigentlichen Kalender in der linken
 Spalte (mit Wochentagsbuchstaben, Bezeichnungen nach dem römischen 
Kalender und Tagesheiligen) rechts durch beinahe seitengroße 
Darstellungen der Monatsapostel. Über diesen stark an plastischen 
Vorbildern orientierten männlichen Figuren geben lebendige Genrebilder 
aus dem bäuerlichen Milieu eine zusätzliche Kennzeichnung des jeweiligen
 Monats.
Ähnlich gerahmt wie das Kalendarium präsentieren sich jene Seiten, die 
der Litanei gewidmet sind. In die nach oben ausschwingenden Bogenfelder 
über dem zweispaltig geschriebenen Text sind je zwei Brustbilder 
eingemalt. Unmittelbar nach Maria und Johannes sowie weiblichen und 
männlichen Heiligen finden wir hier „Sophia und Herman Lantgravius 
Turingie“, die die Bildnisse der „irdischen“ Paare anführen. Ihnen 
folgen zwei Erzbischöfe und Verwandte des Landgrafenhauses – die 
Königspaare von Ungarn (die Eltern von Hermann und Sophias 
Schwiegertochter Elisabeth) und Böhmen. Auch wenn diese Fürstenbilder 
noch nicht als Porträts anzusprechen sind, zeigt sich doch an Details 
bereits der zaghafte Versuch einer Individualisierung der dargestellten 
Persönlichkeit.
Es sind die außerordentlich sorgfältige Zeichnung der Figuren, die feine
 Modellierung der Körper mittels farbiger Abstufungen, das dekorative 
Farbenspiel und die überreiche Verwendung von Gold, die den Bild- und 
Initialschmuck des Landgrafenpsalters so wertvoll erscheinen lassen.
Über die zeitliche Einordung der wahrscheinlich in einem 
thüringisch-sächsischen Skriptorium geschaffenen Handschrift vermögen 
die Fürstenbilder Auskunft zu geben. Im Jahre 1211 erfolgte die 
Verlobung der vierjährigen Elisabeth von Ungarn mit dem Landgrafensohn 
Ludwig IV. 1213 wurde Elisabeths Mutter, Königin Gertrud, deren Bildnis 
in der Litanei noch enthalten ist, von Edelleuten ermordet. Zwischen 
diesen beiden Ereignissen dürfte der Landgrafenpsalter entstanden sein. 
Nach dem Tod ihres Gatten im Jahr 1227 nahm die hl. Elisabeth den Codex 
von der Wartburg mit nach Marburg. Der weitere Weg dieses Meisterwerkes 
der staufischen Hofkunst über das Kloster Weingarten (1628) nach 
Stuttgart (1806/16) ist bis heute weitgehend ungeklärt.