Um 1250 entstand im Bistum Mainz eines der
bedeutendsten Werke der deutschen frühgotischen Buchmalerei: das Mainzer
Evangeliar. In Ausstattungsreichtum und stilistischer Bedeutung
überragt der Codex die Buchproduktion seiner Zeit bei weitem. 100 Blatt
sind durchgehend in Goldtinte geschrieben und mit 71 Einzelbildern zum
Neuen Testament sowie zahlreichen Initialen in reinstem Zackenstil
geschmückt.
Der mächtige Mainzer Erzbischof gilt als Stifter oder Adressat dieser
Prachthandschrift aus der Mitte des 13. Jhs. Bewusst knüpft der
unbekannte Meister an die kaiserliche Tradition der goldenen
Evangelienbücher aus karolingischer und ottonischer Zeit an. Stilistisch
steht er dagegen ganz im Zeichen der neuen Zeit: Beeinflusst von der
entstehenden gotischen Architektur und Plastik verbreitete sich im 13.
Jh. der Zackenstil, eine nach der zackigen, scharfbrüchigen Gestaltung
der Gewänder bezeichnete Spielart des gotischen Figurenstils, die hier
in reinster Ausprägung vorliegt.
Ein virtuoser Bilderzyklus im
neuen Stil visualisiert in zahlreichen Miniaturen Szenen aus dem Neuen
Testament. Einmalig für das 13. Jh. ist die Fülle der Bilder zum Leben
Jesu: Kindheitsgeschichte, Jesu Wunderwirken, Passion, Kreuzestod,
Beweinung und Auferstehung werden zumeist auf Goldgrund und in tief
leuchtenden Farben eindrucksvoll dargestellt. Spürbar ist der
thematische Einfluss der christologischen Bilderzyklen der Reichenauer
und Trierer-Echternacher Handschriften aus dem 10. und 11. Jh.